Liebe Gönnerinnen, liebe Gönner
Jedes Mal, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und meine Gedanken zu Ihnen fliegen lasse, hoffe ich, dass die Zeilen, die ich schreibe, Sie bei guter Gesundheit antreffen.
Ich war sehr berührt von den vielen Reaktionen auf meinen letzten Trimesterbrief, in welchem ich Ihnen unter anderem auch von Souman erzählt habe, dem Zwilling, der vor sieben Jahren mit einem Wasserkopf zur Welt gekommen ist und dessen große Schwester Awa, die sich, seit die Mutter gestorben und der Vater verschwunden ist, um all ihre Geschwister kümmert. So viele liebe Gedanken, so viele Gebete und so viele ermutigende Worte habe ich von Ihnen auf diesen Brief hin erhalten. Und sogar Angebote, die Kosten für die Operation des kleinen Souman zu übernehmen. Die große Anteilnahme hat mich sehr berührt und ich möchte mich an dieser Stelle aus ganzem Herzen bedanken, dass Sie uns so wohlgesinnt sind. Heute kann ich Ihnen sagen: Souman wurde operiert und es geht ihm um Welten besser. Wir konnten ihn wie auch seine Zwillingsschwester Djennatou und seinen zehnjährigen Bruder Fadil inzwischen sogar einschulen. Die drei sind unendlich stolze Schüler! Zudem erhält er eine Kinesiotherapie, die ihm dabei hilft, seinen Gang neu zu entdecken. Das tönt jetzt vielleicht etwas befremdlich, aber für ihn ist es wirklich so, dass er sich daran gewöhnen muss, kein derart enormes Gewicht mehr auf seinen Schultern tragen zu müssen, was eben auch ein neues Gehen möglich macht. Zudem haben wir eine neue Wohnsituation für alle Geschwister gefunden. Awa und Samira, die beiden größeren Schwestern von Souman, putzen nach wie vor bei einer Restaurantbesitzerin und verdienen so etwas Geld, und Hamed, der Zweitälteste, arbeitet nach wie vor als Hilfsmaurer. Aber das reicht, wenn überhaupt, dann nur für das Allernötigste; deshalb ist es wichtig, dass wir sie unterstützen. Die Freude darüber, wie sich die Geschwister als Familie entwickeln, ist unbeschreiblich – ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.
Souman und seine Schwester mit Lotti im wunderschönen Garten des Zentrums
Souman ganz glücklich vor dem neuen Zuhause der Geschwister
Unserem Projekt geht es gut. Das Hospiz ist wie immer bis auf den allerletzten Platz besetzt. Im Ambulatorium finden sich täglich Hunderte von Patienten ein, im Kinderhaus sind unsere 35 Kinder gut aufgehoben, und auch dieses Jahr durften wir wieder 800 Kinder aus der weiteren Umgebung einschulen. Zudem haben wir zwei unserer großen Mädchen ihren Berufswunsch erfüllen können. Sarah Danielle, 15 Jahre alt, absolviert eine Stylistinnenschule, und unsere Bintou, die heute 18 Jahre alt ist, hat mit Erfolg ihre Matura absolviert und konnte sich für ihr Wunschstudium Architektur einschreiben. Dass sie die Aufnahmeprüfung an die Universität bestanden hat, machte nicht nur sie enorm stolz, sondern uns alle! Wir konnten für sie in einer kleinen Wohngemeinschaft eine sichere Unterkunft finden. Unsere kleine Bintou ist flügge geworden! Wir verabschiedeten uns von ihr in unserer kleinen Kapelle, denn sie bat um den Segen «ihrer» Maman. Es war sehr emotional, denn Bintou lebt seit ihrem vierten Lebensjahr bei uns. Ich kann mich noch gut erinnern, als man uns vom Universitäts-Spital aus anrief und sagte, dass ein krankes Kind abgegeben worden sei, das man neben ihrer an Aids gestorbenen Mutter gefunden habe, und man nicht wisse, wohin damit. Bintou hatte einen ganzen Tag allein neben ihrer toten Mutter verbracht, bevor man sie gefunden hatte. Niemand hatte sich um die Verzweiflung und die Tränen des Kindes gekümmert. Sie litt außerdem an der Krankheit Noma, dieser mörderischen bakteriellen Infektion, die sich auf der Mundschleimhaut entwickelt und von dort aus die Weich- und Knochenteile des Gesichts zerfrisst. Bintou hatte ein großes Loch in der Wange, durch das man ihre Zähne sehen konnte. Und natürlich holten wir sie ab, nahmen sie bei uns auf, behandelten sie medikamentös und brachten sie nach Burkina Faso zu einem befreundeten Hilfswerk, wo ein chirurgischer Eingriff gemacht und ihr Gesicht so gut es ging wiederhergestellt wurde.
Aber auch heute noch hat sie das Stigma dieser Krankheit, die Narben sind groß. Sie wurde hier in Abidjan vor drei Jahren noch einmal operiert, und während der Sommerferien im Jahr 2025 werden wir sie noch einmal operieren lassen. Bintou ist eine sehr starke und sehr sympathische junge Frau, die weiß, was es heißt zu leiden, mehr noch, ausgestoßen zu sein. Wie gut sie mit den unsichtbaren Narben in ihrer Seele, die sie bis ans Lebensende begleiten werden, umgeht, wirft mich manchmal fast um. Sie hat Kraft und Mut. Und wir sind sehr, sehr stolz auf sie.
Bintou, unsere stolze Architekturstudentin
Vor einiger Zeit begannen wir damit, einmal pro Woche einen Spieltag mit unseren Kindern und den Seniorinnen und Senioren in unserem Dörflein zu organisieren. Unsere Idee war es, dass die Kinder den Umgang mit der älteren Generation lernen. Und es ist Glücklichsein pur! Die Kinder haben Großeltern gefunden und unsere Dorfbewohner Enkelkinder. Oftmals kochen sie inzwischen auch zusammen oder machen Musik und tanzen dazu, die Freude, die sie sich dabei gegenseitig schenken, ist riesig. Unser Papa Gilbert, 74 Jahre alt, der sehr gerne spielt, aber ein ganz, ganz schlechter Verlierer ist, war skeptisch, als ich ihm unseren fünfjährigen Ezechiel vorstellte, der mit ihm Domino spielen wollte. Ehrlich gesagt, ich auch ein wenig, weil – was, wenn der doch sehr intelligente Knirps gewinnen sollte?
Aber meine Sorge war unbegründet, denn als Ezechiel Papa Gilbert tatsächlich den Rang ablief, vergaß dieser seinen Stolz und freute sich mit einem herrlichen Lachen für seinen kleinen Gegner, was wiederum Ezechiels Augen strahlen ließ. Das Bild der beiden werde ich nicht so schnell wieder vergessen. Der Respekt und die Liebe der Kinder für ihre neuen Großeltern und deren Dankbarkeit und Liebe für ihre neuen Enkelkinder sind ergreifend.
Wir haben immer mehr das Gefühl, in einer Oase zu leben. Auf unserem Grundstück von 7000 Quadratmetern ist großer Frieden und ganz viel Freude. Was für ein Geschenk, wenn man sieht, was in der Welt passiert: Krieg, Hass und Zerstörung sind überall spürbar. Mir ist, als hätte unser schöner Planet Fieber. Die Menschen sind gestresst, deprimiert und psychisch angeschlagen. Es tut mir im Herzen weh, wenn ich lese, wie viele junge Menschen auch in Europa von Zukunftsängsten geplagt werden. Es fehlt an dem, was uns Menschen glücklich macht: das Miteinander und nicht das Gegeneinander. Das Zusammengehören. Das auf seine Mitmenschen Rücksicht nehmen. Die sozialen Kontakte. Die Zeit füreinander.
Jung und Alt spielen zusammen – was für eine grenzenlose Freude!
Unser älteste und jüngste und zwei unserer pelzigen Mitbewohner
All das versuchen wir unseren Menschen im Centre L’Espoir bestmöglich zu geben. Allem voran Zuversicht. Die Zuversicht, dass sie hier aufgehoben sind und behandelt werden.
Denn anders als in Europa, gibt es hier ärztliche Versorgung nur auf Vorauszahlung. Wer kein Geld hat, erhält schlicht keine medizinische Hilfe. Wer kein Geld hat, der stirbt vor den Pforten eines Krankenhauses an einer Eileiterschwangerschaft, einem Blinddarm, einer Sepsis oder inneren Blutungen. Nicht nur Erwachsene, es trifft auch Kinder und Säuglinge. Kein Geld – keine Behandlung!
Hier bei uns sind die Türen offen und schon am Eingang wird man aufs freundlichste mit einem «Bonne Arrivée» willkommen geheißen. In den öffentlichen Spitälern wird zuerst nach Geld gefragt, und der, der keines hat, wird weggejagt und sei er noch so krank.
Ja, ich wiederhole mich, aber es ist mir wichtig, Ihnen wieder einmal zu sagen, wie menschenwürdig unsere Oase hier ist und – dies vor allem – wie sehr wir uns bewusst sind, dass Sie, liebe Spenderinnen und Spender, all dies möglich machen. Dank Ihnen können wir unseren Mitmenschen hier Mut, Kraft und eine würdigere Zukunft geben.
Liebe Gönnerinnen, liebe Gönner, liebe Freunde, ich kenne kein stärkeres Wort als: DANKE. Ich wünsche Ihnen von Herzen eine gesegnete (Vor)Weihnachtszeit und alles Liebe und Gute fürs neue Jahr.
Mit meinen respektvollsten Grüßen,
Lotti